WARNUNG: Dieser Artikel enthält Bilder, die auf manche Leser verstörend wirken können.
Wer als Soldat im 2. Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts in den Ersten Weltkrieg ziehen musste, der hatte Glück, wenn er diese Hölle lebend wieder verlassen konnte. Die Veteranen, die es wieder nach Hause schafften, waren für immer gezeichnet: Sie litten unter schwersten Traumatisierungen und waren oftmals abhängig von schmerzstillenden Drogen.
Neben den seelischen Narben trugen viele auch unübersehbare körperliche Verstümmelungen davon. Nicht wenigen von ihnen hatten Gliedmaßen amputiert werden müssen. Besonders schlimm waren Kopfverletzungen durch Bomben und Granatsplitter – zurück blieben schrecklich entstellte Gesichter, die kaum noch als solche erkennbar waren.
Die Entstellungen und die entsetzten Reaktionen der Umwelt machten alles noch schlimmer, sodass sich nur die wenigsten der solcherart Kriegsversehrten noch in die Öffentlichkeit hinauswagten. Aus Angst vor Ablehnung trauten sich viele nicht einmal, ihren Familien gegenüberzutreten. Viele litten so sehr unter dieser Isolation, dass sie sich selbst das Leben nahmen.
Für französische Versehrte gab es im ganzen Land nur ein einziges Geschäft, in dem sie Gesichtsprothesen erwerben konnten, um die schlimmsten Schäden zu verdecken – und auch dieses verkaufte ausschließlich künstliche Nasen aus Blech, die keine große Hilfe darstellten.
Doch dann kam jemand, der mit ganz anderen Fähigkeiten helfen konnte: Anna Coleman Ladd war 1878 in den USA geboren und hatte in Paris und Rom eine klassische Ausbildung zur Bildhauerin genossen. Ihre Werke konnten bereits auf Ausstellungen bewundert werden.
Nun waren Anna und ihr Ehemann nach Paris gezogen und hatten sich dort ein eigenes Geschäft aufgebaut, in welchem sie denjenigen Soldaten halfen, die mehr brauchten als nur eine blecherne Nase. Sie erinnerte sich an einen Soldaten, der bereits vor zweieinhalb Jahren aus dem Militärdienst entlassen worden war und sich seitdem seiner Familie noch nicht gezeigt hatte.
Sie studierte aus der Zeit vor den Verletzungen stammende Fotografien der Männer und nahm Abdrücke von deren Gesichtern. Dann formte sie für jeden individuell eine Prothese, mit der sie das Gesicht so gut wie möglich rekonstruierte.
Hatte der Kunde ein Auge verloren, passte sie die Farbe des gemalten Auges genau seiner natürlichen Iris an und mischte auch für die Haut einen persönlich passenden Farbton an. Um Augenbrauen, Wimpern und Bärte nachzubilden, benutzte sie echtes Haar. Befestigt wurden die fertigen Masken mit Stoffbändern oder gleich mit einem integrierten Brillengestell.
Die Ergebnisse konnten den Männern freilich nicht ihre Sehkraft oder ihre Stimme zurückgeben, aber sie erlaubten es ihnen, sich wieder vor die Tür zu wagen. Aus einiger Entfernung wirkten die maskierten Gesichter beinahe natürlich und auch aus der Nähe nahmen sie dem Anblick einiges von seinem Schrecken. Die Träger konnten sich wieder in der Gesellschaft sehen lassen.
Als sich ihre Kunst herumgesprochen hatte, konnte sie sich vor Kundschaft kaum retten: Vom amerikanischen Roten Kreuz finanziell unterstützt, fertigte sie Masken für beinahe 200 Veteranen an.
Als ihre Dienste nicht mehr benötigt wurden, zog es Anna zurück nach Amerika, wo sie sich weiter der Bildhauerei widmete. Für ihre Arbeit wurde sie mit dem Ritterorden der französischen Ehrenlegion und dem St.-Sava-Orden des damaligen Königreichs Serbien ausgezeichnet.
Was für eine Leistung! Was Anna Coleman Ladd erreicht hat, hilft noch heute Menschen mit Verletzungen weiter. Sie legte mit ihrer Arbeit den Grundstein für die heutige Anaplastologie, also die Kunst, lebensechte und alltagstaugliche Prothesen anzufertigen, die eine Stigmatisierung der Träger verhindern und ihnen zu einem besseren Leben verhelfen sollen.