Sie atmet tief durch, beugt sich zu dem Jungen und sagt: „Komm, lass uns nochmal nachzählen, ob das Geld wirklich nicht reicht.“ Sie zählt das Geld des Jungen und schafft es dabei, unbemerkt etwas von ihrem eigenen Geld dazuzugeben. Auf einmal reicht das Geld, und es ist sogar etwas übrig.
Da leuchten die Augen des Jungen auf, und er ruft: „Super, da kann ich Mama ja sogar noch ihre Lieblingsblumen kaufen. Sie liebt weiße Rosen.“ Und mit einem Mal ist der Junge verschwunden. Die Frau fragt sich noch, ob sie richtig gehandelt hat oder ob der Junge sie einfach geschickt belogen hat. Doch sie verwirft den Gedanken schnell wieder.
Dennoch ist sie so aufgewühlt, dass sie ganz vergisst, die Puppe für ihre Nichte zu kaufen. Am Ausgang des Geschäfts sieht sie eine Schlagzeile in der Zeitung. Darin steht etwas von einem fürchterlichen Unfall. Ein betrunkener Autofahrer war vor ein paar Tagen in ein anderes Auto gerast.
Dabei wurden eine Frau und ihre kleine Tochter schwer verletzt. Die 4-Jährige starb noch auf dem Weg ins Krankenhaus, und die Mutter fiel in ein tiefes Koma. Die Ärzte kämpften noch um ihr Leben. Konnte das die Mutter des Jungen sein? Seine Schwester? Sie versucht, den Gedanken nicht zu groß in ihr werden zu lassen.
Doch 2 Tage später ertappt sich die Frau dabei, wie sie immer wieder die lokalen Nachrichten und die Traueranzeigen durchstöbert. Da sieht sie die Zeilen, auf die sie gewartet hat und die sie nie lesen wollte. Die Frau aus dem Krankenhaus war nun auch gestorben.
Hektisch blättert sie zu den Traueranzeigen. Tatsächlich: Da war eine Anzeige. „Sinnlos und viel zu früh bist du uns genommen worden. Trost finden wir darin, dass du unseren kleinen Engel wiedersehen wirst.“ Dort stehen auch ein Datum und ein Ort für die Beisetzung. Die Frau kann einfach nicht anders. Sie kauft einen Strauß weiße Rosen und fährt zu der Beerdigung.
Tatsächlich sieht sie dort den kleinen Jungen stehen. In der Hand hat er eine weiße Rose und die Puppe für seine Schwester. Neben ihm steht sein Vater, um Fassung ringend, doch man sieht ihm die letzten Tage deutlich an. Es gibt nichts, was die Frau jetzt sagen kann. Wortlos bahnt sie sich ihren Weg zum Grab, während sich an ihren Wangen heiße Tränen den Weg nach unten bahnen.
Wortlos legt sie die Rosen nieder und schaut zu, wie der Junge Puppe und Rosen auf den Sarg in der Grube legt. Sie schauen sich kurz in die Augen, und jetzt erkennt die Frau, was sie am Blick des Jungen so gefesselt hat. Es steckt ein Ernst darin, den nur solch ein Verlust hervorrufen kann. Der Junge hat die Augen eines Erwachsenen. Es zerreißt ihr das Herz, doch es gibt nichts, was sie noch sagen oder tun könnte.
Ein einzelner Moment hat das Leben dieser Familie für immer aus der Bahn geworfen. Ein Mensch setzte sich betrunken ans Steuer. Er rief sich kein Taxi. Nahm nicht den Bus. Damit nahm er einem kleinen Mädchen die Zukunft. Einem Jungen die Mutter. Einem Vater seine Liebe und seine Tochter. Alkohol am Steuer gefährdet nicht nur dich selbst. Er gefährdet alle. Deine Entscheidung betrifft alle.
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