Die COVID-19-Pandemie hat uns allen viel genommen. Sie hat die Menschen eine Unbeschwertheit gekostet, von der sie zuvor nicht wussten, dass sie sie hatten. Sie hat manchen von uns geliebte Menschen geraubt, die an der grausamen Krankheit gestorben sind. Anderen hat sie für lange Zeit die Gesundheit ruiniert, den Beruf genommen und das Vertrauen in ihre Mitmenschen erschüttert.
Eine Berufsgruppe, die es am härtesten getroffen hat, sind die Ärzte und das Pflegepersonal in den Krankenhäusern. Sie leisten jeden Tag Übermenschliches, und das jetzt schon seit Jahren. Allzu oft werden sie für ihre Mühen auch noch aggressiv angegangen, ihre Ehrlichkeit wird in Frage gestellt und ihre Kompetenzen werden angezweifelt.
In dieser schrecklichen Situation brauchen Mediziner etwas, an dem sie sich festhalten können. Dies können Erinnerungen an Momente sein, die ihnen den Glauben an ihren Beruf und an das Gute im Menschen bestätigt haben.
Die Ärztin Dr. Halleh Akbarnia, die in der Notaufnahme eines Krankenhauses in Libertyville im US-amerikanischen Bundesstaat Illinois arbeitet, erinnert sich gut an einen Patienten, der in ihrer Erinnerung immer ihr Anker bleiben wird. Herr C., wie sie ihn in ihrer Erzählung nennt, wurde für Dr. Akbarnia zu ihrem inneren Fels in der Brandung.
„Ich bin seit fast 20 Jahren Ärztin in der Notaufnahme. Ich habe während mehrerer Katastrophen gearbeitet, ich bin die tägliche Flut von Herzinfarkten, Schusswunden, Schlaganfällen, Verletzungen und vielem mehr gewohnt. Das gehört bei meinem Job eben dazu. Aber nichts hat mich jemals so fühlen lassen wie diese Pandemie. Dieser Knoten, den ich im Bauch habe, wenn ich zur Arbeit fahre und nur von den mitfühlenden Gesichtern meiner Kollegen getröstet werde, die dasselbe durchmachen. Ich bin dankbar für sie, die mir zur Seite stehen – im übertragenen Sinne und ganz wörtlich. Sie verstehen ganz grundlegend die Risiken, die wir jeden Tag eingehen. Ich hoffe, dass meine Familie und meine Freunde mir verzeihen, wie wenig ich gerade für sie da bin, dass sie wissen, wie sehr ihre ermutigenden Worte und ihre kleinen Gesten mich jeden Tag aufrichten.
Ich sah meinen Patienten, Herrn C., während meiner ersten richtigen ‚Pandemie-Schicht‘. Seine Symptome waren klassisch, die Röntgenbilder, der niedrige Sauerstoffgehalt seines Blutes, wir wussten, was er hatte. Und er war der liebste, netteste Mann, dem ich seit Langem begegnet war. Während er nach Luft rang, fragte er uns noch, ob wir etwas von ihm bräuchten. Er sagte, dass er ein Lehrer sei, aber gerade so viel von uns lernen würde. Wie sehr er uns zu schätzen wisse.
Wir mussten entscheiden, wann wir ihn intubieren sollten. Seine Sauerstoffwerte wurden trotz aller Bemühungen immer schlechter und wir mussten ihn an das Beatmungsgerät anschließen. Er sagte uns, dass er Angst davor habe, aber er fügte hinzu: ‚Doc, ich vertraue Ihnen. Ich gebe mich in Ihre Hände.‘ Ich hatte so ein schlechtes Gefühl dabei und in diesem Moment wurde es nur schlimmer. Aber er sprach mit seiner ruhigen Lehrerstimme mit mir und machte mir Mut, gab mir Sicherheit. Ich sah, wie freundlich sein Blick war, selbst dann, als wir ihm das Betäubungsmittel spritzten. Es war keine leichte Intubation. Es war hart. In den ersten paar Minuten hätten wir ihn beinahe verloren, aber er kam zu uns zurück. Wir haben so hart um ihn gekämpft. Die Kraft meines ganzen Teams an diesem Tag werde ich nie vergessen.
Ich übergab ihn meiner Kollegin und ihrem Team auf der Intensivstation. Für die nächsten zwölf Tage wartete ich und verfolgte seinen Zustand. Gestern konnte Herr C. vom Beatmungsgerät genommen werden. Ich beschloss, ihn zu besuchen und mich ihm noch einmal vorzustellen.
Herr C. lag auf der COVID-Station, seine Familie durfte ihn nicht besuchen. Seine Frau musste zu Hause allein in Isolation sein, ich mag mir nicht vorstellen, wie das für sie gewesen sein muss. Ich trat vorsichtig an ihn heran. Als er mich sah, schaute er mich an. Da war ein Wiedererkennen in seinem Blick.
Ich stellte mich ihm vor. ‚Ich bin Dr. Akbarnia. Ich war der letzte Mensch, den Sie in der Notaufnahme gesehen haben. Sie sagten mir, dass Sie mir vertrauten, dass ich Ihnen helfen würde. Es sieht so aus, als hätten Sie das wunderbar allein geschafft.‘ Er fing an zu weinen und sagte: ‚Ich erinnere mich an Sie. Ich erinnere mich an Ihre Augen.‘ Und dann fing ich auch an zu weinen.
Was er nicht weiß, ist, dass ich in diesem Moment wieder begriff, warum wir das alles machen. Für Menschen wie ihn, für Momente wie diesen. Seine Stärke, seine Freundlichkeit, seine beruhigenden Worte bedeuteten mir alles.
Ich setzte mich zu ihm und wir redeten. Ich sagte ihm, dass wir seine Familie seien, solange er hier sei. Ich würde ihn nicht vergessen. Ob er es weiß oder nicht, er bleibt mein stiller Begleiter – bei jedem Patienten, um den ich mich kümmere. Er wird mir immer Kraft geben – bis hin zu dem Tag, an dem ich mein Stethoskop an den Nagel hänge.“
Jeder braucht im Moment Erinnerungen, die ihm helfen, wenn sich Erschöpfung und Mutlosigkeit bemerkbar machen. Was kann es Schöneres geben als die Worte von jemandem wie Herrn C.!
Die Ärztin Dr. Halleh Akbarnia muss nur an ihn denken, um immer zu wissen, wofür sie in ihrem Beruf jeden Tag kämpft.
Quelle: lovewhatmatters
Vorschaubild: ©Facebook/Halleh Akbarnia